Ein gelungenes Kunstwerk genügt, um dem Leben einen Sinn zu geben

Zum Start in die Herbstkurse in Tai Chi und Qi Gong fällt mir Konrad Paul Liessmanns Rede zu den Salzburger Festspielen in die Hände. Sein Thema ist: „Kunst in bewegten Zeiten“.  Es bedarf der Kunst, so Liessmann, und alle Zeiten waren bewegt. Am Gedicht an die Parzen des 28-jährigen Friedrich Hölderlin präzisiert er die Macht der Kunst und gleichzeitig den Kunstanspruch über zwei Jahrhunderte: „Das Kunstwerk, wenn es denn gelingt, genügt, um dem Leben nicht nur einen Sinn, sondern eine nahezu religiöse Aura zu verleihen, die es von allen anderen Bedingungen und Angelegenheiten des Dasein radikal entfernt. … in dieser Konzentration auf die Kunst liegt selbst eine Kritik, die nicht aktionistisch eingreift, nicht einmal Missstände benennt, sondern sich zurückzieht in eine ganz andere Sphäre, in der nur eines gilt: das gelungene Werk. Gelingen kann dies aber nur, wenn es sich jenem Recht verdankt, das sich im Leben nicht oder noch nicht durchsetzen konnte. Es ist dies, bei Hölderlin und weit über ihn hinaus, ein Leben in Freiheit.“

Wer Tai Chi und Qi Gong praktiziert, fühlt sich tief angesprochen. Die einzelnen Figuren, aufgereiht wie Perlen und ausgeführt in einer langsamen, stetigen Bewegung – das ist die immer wiederkehrende Übung. Je öfter praktiziert, desto rascher geschieht das Abtauchen in diese andere Sphäre, weit weg von allem Alltäglichen, in einen heiligen Raum. Sehr lange ist es ein höchst privater Raum, irgendwann wird es der Raum: die grenzenlose Freiheit.

Allen Künsten zugetan, der Literatur besonders, nicht weniger der Musik und der bildenden Kunst, kenne ich diesen Raum auch aus diesen Bereichen. Peter Handkes „In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus“, John Cages Ton-Meditationen, Gerhard Richters Gemälde. Beglückende  Erfahrungen, wenngleich sekundär. Nur das Tai Chi und Qi Gong erlauben es mir, in meinem eigenen Versuch diesen Raum zu betreten. Dass ich dies weitergeben kann, ist nicht weniger erfüllend.

Möge Euch auch in diesem Herbst wieder die Übung gelingen, diesen Raum zu entdecken. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Reise dorthin!

In diesem Sinne: Bis bald bei Tai Chi und Qi Gong … lasst es fließen!

Hier die komplette Rede von Konrad Paul Liessmann